Review: NYMPH()MANIAC: VOLUME I & II – Vergiss die Liebe



Fakten:
Nymph()maniac: Volume I & II
Dänemark, BRD, Belgien, UK, Frankreich. 2013. Regie und Buch:Lars von Trier. Mit: Charlotte Gainsbourg, Stellan Skarsgard, Stacy Martin, Uma Thurman, Jaime Bell, Connie Nielsen, Christian Slater, Daniele Lebang, Mia Goth, Willem Dafoe, Shia LaBeouf, Sophie Kennedy Clark, Maja Arsovic, Michael Pas, Caroline Goodall, Udo Kier, Jean-Marc Barr u.a. Länge Teil 1: 145 Minuten (Uncut-Fassung), 117 Minuten (Cut-Fassung). Länge Teil 2: 124 Minuten. FSK: freigegeben ab 16 Jahren.
Ab 20. November 2014 auf DVD und Blu-ray erhältlich.


Story:
Der ältere Junggeselle Seligmann rettet Joe in einer Gasse vor einer Schlägerei. Daraufhin nimmt er die 50-jährige Frau mit zu sich nach Hause, um sie zu pflegen. Dabei erzählt Joe ihre Lebensgeschichte, die Lebensgeschichte einer Nymphomanin.





Meinung:
Nach seinem irritierenden „Okay, ich bin ein Nazi“-Statement in Cannes, das die Filmwelt 2011 postwendend zu einem echauffierten Tal keifender Furore konvertierte, erteilte sich Lars von Trier selbständig Redeverbot und lud sich gleichwohl aus allen folgenden Pressekonferenzen aus: Das dänische Enfant terrible wurde seinem Ruf als kontroverser Filmemacher wieder einmal gerecht, auch wenn er diese Äußerung hinter der Kamera gewiss mit einem leichtfertigen Augenzwinkern traf. Mit der losen Ankündigung zuvor, einen „echten Porno“ drehen zu wollen, entlockte er nicht nur seiner Fangemeinde erwartungsvolles Frohlocken, sondern zog mit einem gar brillanten Marketingfeldzug nach und lenkte den Fokus der gesamten Branche auf sein neustes Werk: Clips als Appetizer, Orgasmus-Poster und eine Laufzeit von angeblich über fünf Stunden, ließen die virtuelle Gerüchteküche Tag und und Nacht brodeln. Wie weit wird der Kopenhagener dieses Mal nun wirklich gehen, wie viel Porno steckt wirklich in „Nymphomaniac“, im Abschluss seiner Depressions-Trilogie? Expliziter Geschlechtsverkehr sollte nach seinem Opus Magnum „Antichrist“ keine Neuheit in seinem Œuvre darstellen.


 
Ob die Kollegen der CineCouch so ihre Podcasts aufnehmen?
Um die Lage zu Anfang schon gleich zu entschärfen: Nein, „Nymphomaniac“ ist kein handelsüblicher Pornofilm geworden, der seinen Sex willkürlich in das Geschehen integriert und diesen dann nur zur reinen Wichsvorlage für das Publikum degradiert. „Nymphomaniac“ ist hingegen ein echter Von Trier, durch und durch provokativ in seinen Anlagen, umso menschlicher im Umgang mit seiner Protagonistin Joe in der Gesamtansicht. Begrüßt werden wir mit einer Schwarzblende, die eine gefühlte Ewigkeit visuell die Leinwand für sich bestimmt, während sich die Regentropfen im Hintergrund leise einen Weg durch die Düsternis bahnen, um dann mit einer elegische Kamerafahrt durch die kalte Hinterhoftristesse fortzusetzen. Eine ästhetische Sequenz, die schließlich durch Rammsteins lospolterndes „Führe Mich“ vollkommen konterkariert wird. Irgendwann erreichen wir dann auch Joe, unseren Leitfaden, dessen geschundener, mit sanft auf sie herabfallenden Schneekristallen bedeckter Körper, der dann von Seligman aufgelesen wird. Er will ihr helfen und nimmt sie mit in seine Wohnung; sie jedoch macht ihm unmissverständlich klar, dass sie diese Hilfe nicht verdient hat.

 
Das werden die Klitschkos ganz wuschig: ein lebende Milchschnitte
Joe bietet Seligman an, ihm von ihrem Leben als Nymphomanin zu erzählen und nimmt ihn zusammen mit den Zuschauer mit auf eine episodische Reise durch einzelne, prägenden Stationen ihrer Vergangenheit. Von der frühen Kindheit, das Erwachen sexueller Bedürfnisse, ihrer Entjungferung, die Gründung eines Clubs für Nymphomaninnen, die das katholische Schuldbekenntnis „Mea culpa“ mal schnell zu „Mea vulva“ formen, bis hin zu ihrer ersten und letzten festen Beziehung mit Jerome. „Nymphomaniac“ zeigt sich im ersten Teil noch als vitales Erlebnis, das nicht nur jeden Rahmen seiner Erzählstruktur negiert, er funktioniert einfach auf derart vielen Ebenen, dass sich Lars von Trier für sein künstlerische Verständnis erneut breit grinsend auf die Schulter klopfen darf. Während Joe ihren Leidensweg Schritt für Schritt offeriert und sich permanent als schlechter Mensch versteht, versucht sie Seligman, die Enzyklopädie auf zwei Beinen, durch allerhand Exkurse und Analogien wieder in das richtige Licht zu rücken und ihre erdrückenden Schuldgefühle durch Gegenargumentationen zu entkräften. Zwischen Joe und Seligman entsteht ein zuweilen unbekümmerte Wärme, die in Joes dargebotener Tour de Force spätestens im zweiten Teil vollständig verschwindet.

 
Joe und Jerome sind voll in ihrem Element
Seligman fungiert als moralische Stütze, während Lars von Trier einen Teufel tut, das Verhalten seiner Joe in irgendeiner Weise zu moralisieren. Er intellektualisiert und psychologisiert es, und das durch verschiedenste Mittel, doch er verurteilt nicht, dafür liebt er seine Nymphomanin viel zu sehr. Wenn Seligman auf die Fibonacci-Folge zurückgreift oder die Beutejagd Joes, die bis zu 10 Männer pro Nacht zur Lustbefriedigung benötigt, durch das Fliegenfischen versinnbildlicht, dann ist die Spielfreude Von Triers geweckt und „Nymphomaniac“ entpuppt sich zur humorvollen Groteske, die jener depressiven Disposition entgeht, die noch „Antichrist“ und „Melancholia“ regierte. Über die gallige Note in „Nymphomaniac“ darf gelacht werden, nur man sollte sich darauf gefasst machen, dass von Trier mit den letzten drei der insgesamt acht Episoden die Tonalität wechseln wird. Von der jungen Frau, die sich zusammen mit ihrer Freundin von Zugabteil zu Zugabteil schlägt und mit ihr um die Wette mit Männern schläft, nur um eine Tüte Schokopralinen zu gewinnen; die junge Frau, die noch unverständlich dreinblickt, als ein Passagier ihr erklärt, dass er sein Sperma eigentlich für seine Frau aufbewahren wollte, um ihr 2 Minuten später schon in den Mund zu spritzen, wird im zweiten Teil eine Frau, deren Vagina sich empfindungslos zeigt, die sich auf neue, sado-masochistische Bahnen schlägt, um endlich wieder etwas zu fühlen.

 
Joe und K haben eine ganz besondere Beziehung
Joe ist unfähig zu lieben, sie kann sich nicht um das gemeinsame Kind mit Jerome kümmern, dem sie ihre Taubheit genau dann gesteht, als eigentlich alles perfekt schien; in dem Moment, in dem Von Trier Joes Nymphomanie durch Bachs Polyphonie in grandiosen Split-Screens deutet. Danach geht es – bis auf die amüsante Szene mit zwei Schwarzen, die sich darum streiten, wer Joe denn nun anal und wer sie vaginal penetrieren darf - düster und pessimistisch einher. Ihre vordergründige Liebe zu erweist sich als unerreichbar, Jerome lässt sie gehen, damit sie ihre Vagina reaktivieren kann und trifft auf K, der ihr mit 40 Peitschenhieben auf den nackten Hintern, endlich wieder ein Gefühl schenkt, ohne das sie nicht mehr existieren kann: Ihre wütend-frigile Obsession zerfrisst sie langsam von innen heraus. Dass Lars von Trier hier natürlich auch die Hintergründe der Pornomaschinerie, wie auch die prüden Konventionen unserer Gesellschaft dekonstruiert, versteht sich angesichts des Themenspektrums natürlich von selbst. Wie offen und ehrlich er Joe, ihrer Sucht und ihrer Emanzipation, aber durchweg entgegentritt, das hat schon etwas ungemein Berührendes. „Nymphomaniac“ ist ein Psychogramm, das sich nicht für äußerliche Normen interessiert, sondern für den fatalen Werdegang seiner Akteurin – Und dabei darf sich der gute Lars inzwischen natürlich so manche Selbstreferenz leisten.


Schwach sind im ungemein philosophischen und feministischen „Nymphomaniac“ nicht die Opfer ihrer Gelüste, es sind die Personen, die sich und anderen zwanghaft emotionale Selbstverständlichkeit einreden möchten. In der Selbsthilfegruppe wird das illustrativ auf die Spitze getrieben: Joe besteht auf ihre Anrede als Nymphomanin, sie ist nicht sexsüchtig, sondern eine Nymphomanin. In Teil 2 hat sich die Narrative von „Nymphomaniac“ auch gänzlich vom zerstückelten Episodenhaften verabschiedet und lässt seine Maschen näher, bitterer zusammenwachsen. Wo Joe landen wird, macht uns Lars von Trier schon zu Anfang deutlich, wie sie das Leben aber in diese Situation manövrieren wird, das schmerzt und setzt einen Stich in das Herz, wie ihn nur Lars von Trier setzen kann, um dann, wenn sich die Wogen angeblich geglättet haben, wenn alle Entscheidungen getroffen sind, noch einmal zum letzten Schlag auszuholen. Mensch heißt Mensch heißt Widersprüche, das hat Lars von Trier erkannt, genau wie er richtig erkannt hat, dass manche Menschen sich nun mal mehr vom Sonnenuntergang, als von ihrem Aufgang erhoffen.


8 von 10 erigierte Penisse


von souli

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