Review: DER MANN, DER LIBERTY VALANCE ERSCHOSS – Die ambivalente Entmystifizierung einer Legende



Fakten:
Der Mann, der Libery Valance erschoss (The Man who shot Liberty Valance)
USA. 1972. Regie: John Ford. Buch: Willis Goldbeck, James Warren, Bellah, Dorothy M. Johnson (Vorlage).
Mit: James Stewart, John Wayne, Lee Marvin, Very Miles, Edmond O’Brien, Andy Devine, John Carradine, Woody Stone, Lee Van Cleef, Ken Murray u.a. Länge: 118 Minuten. FSK: freigegeben ab 12 Jahren. Auf DVD und Blu-ray erhältlich.


Story:
Ransom Stoddard hat es in seiner beruflichen Laufbahn bis zum Senator gebracht. Zur Beerdigung seines alten Freundes Tom Doniphon, kehrt er trotz politischer Geschäfte an den Ort zurück, an dem seine Karriere begann: die Kleinstadt Shinbone. Doniphone hatte sich in den letzten Jahres seines Lebens immer weiter von der Außenwelt abgekapselt. Warum tat er das? Diese Frage spornt ein paar Journalisten an, die Stoddard um eine Erklärung bitten. Und so erzählt er ihnen die Geschichte von dem Mann, der Liberty Valance erschoss.





Meinung:
Für einen Künstler gibt es nur zwei Möglichkeiten, sich einer Legende adäquat anzunehmen: Entweder er bestätigt ihr funkelndes Antlitz mit himmelhochjauchzender Mentalität, oder er hinterfragt diese Legende ganz gezielt, prüft ihren Wahrheitsgehalt und demontiert sie dadurch höchstwahrscheinlich auch. John Ford beispielsweise zeichnete sich als ein Regisseur aus, der beide Seiten kannte und den Western gerne aus einem romantisierten Blickwinkel betrachtete, in dem die entstaubten Ideale des rechtschaffenden Amerikaners gefrönt und nachhaltig poliert wurden: Helden wurden unter der Ägide von Ford gewiss so manches Mal geboren. Er konnte diesen ehrenvollen Status im Umkehrschluss aber auch zerbrechen lassen und schreckte selbst davor nicht zurück, seinem geliebten Heimatland einige Zacken aus der Krone zu brechen. Mit „Der Mann, der Liberty Valance erschoss“, tat John Ford nämlich genau dies und zeigte Amerika, welches gerade dabei ist, sich von der Pionierzeit abzunabeln, nicht gerade von der strahlenden Seite des Fortschritts.


Wahrheit oder Lüge? Stoddard schlägt Doniphon
Hinter einem Fortschritt stehen immer Menschen, die diesen Ball ins Rollen bringen müssen; die den Mut und Ehrgeiz aufweisen, sich von Vergangenem zu lösen und den Blick streng in Richtung Zukunft lenken. In „Der Mann, der Liberty Valance erschoss“ trägt dieser Mensch den Namen Ransom Stoddart (James Stewart), der es sich einst zum Ziel setzte, als Amerika als idealistischer Rechtsanwalt vom Gesetz des Colts zu befreien und heute den angesehenen Posten des Senators bedeckt. Der Tod seines alten Freundes Tom Doniphon (John Wayne) führt ihn schließlich noch einmal zurück in die entscheidende Stadt seines Lebens, die es ihm so reibungslos ermöglichte, die Karriereleiter heraufzusteigen. Schließlich war er es doch, der den furchterregenden Ganoven Liberty Valance (Lee Marvin) erschossen hat und zur Legende wurde. So jedenfalls postuliert diese den Verlauf der damaligen Geschehnisse und konnte darauf die Grundsätze eines zivilisierten, rechtskräftigen und geordneten Amerikas aufbauen. In Wahrheit ist diese Aufwärtsentwicklung manifestiert auf einer Lüge, einem Mythos, dessen sich einzig Ransom und Tom bewusst sind.


In „Der Mann, der Liberty Valance erschoss“ gibt es den obligatorischen Helden nicht; es gibt Menschen, die wissen, wie sich Freundschaft und Ehrlichkeit definiert. Es gibt aber gleichwohl auch Menschen, deren moralische Instanz durch die vehemente Tyrannei und die unentwegte Gewissenlosigkeit ausgetaucht wurde. Ransom Stoddart steht für das Richtige ein; er weiß, wie eine Gesellschaft funktionieren sollte, nach welchen Leitlinien sie aufgebaut werden sollte, doch Ransom ist kein schillernder Teufelskerl, dessen Schicksal sich nur für sein Wohl zu interessieren scheint. Auch Tom Doniphon ist kein Held, wenngleich er sich für eine Tat verantwortlich zeigen darf, für die sich eine andere Person hat feiern lassen. Doniphon ist ein gebrochener, ein müder Mann, doch er besitzt noch Stolz und seine Vorsätze bedienen sich der Rechtschaffenheit. Etwas Heldenhaftes oder Heroisches wird man in „Der Mann, der Liberty Valance erschoss“ schlussendlich nicht finden. John Ford wirft vielmehr einen reflektierten und von leiser Wehmut geprägten Blick zurück über die eigene Schulter und schafft es dabei, Sterne verglühen zu lassen, sie aber auch in Würde untergehen zu lassen. Legenden werden nun mal nicht geboren, sie werden nur überbracht.


8 von 10 Schüssen aus dem Hinterhalt


von souli

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