Review: DOGVILLE - Lars von Trier und der epischste aller Filme



Fakten:
Dogville
Dänemark, UK, Schweden, Frankreich, Deutschland, Norwegen, Niederlande, Finnland, Italien. 2003. Regie: Lars von Trier. Buch: Lars von Trier. Mit: Nicole Kidman, Lauren Bacall, Jean-Marc Barr, Paul Bettany, James Caan, Udo Kier, Stellan Skarsgard, Patricia Clarkson, Jeremy Davies, Ben Gazzara, Philip Baker Hall, Chloe Sevigny, John Hurt u.a. Länge: 177 Minuten. FSK: ab 12 Jahren freigegeben. Auf DVD erhältlich.


Story:
In den frühen dreißiger Jahren kommt Grace in das abgeschieden in den Rocky Mountains gelegene Dörfchen Dogville, auf der Flucht vor zwielichtigen Männern. Der Schriftsteller Tom Edison will ihr Unterschupf gewähren und versucht, die misstrauische Dorfgemeinschaft davon zu überzeugen, Grace in Dogville aufzunehmen. Unter der Bedingung, dass sie sich dem Gemeinschaftsleben anpasst und ihnen bei den Arbeiten hilft, stimmen die Einwohner zu. Grace gelingt es, das Vertrauen der Bewohner Dogvilles zu gewinnen, doch als die Polizei einen Steckbrief mit Graces Gesicht verteilt, da kippt die Stimmung gegen Grace und sie wird von den Einwohnern im Wissen, dass sie Grace in ihrer Hand haben, immer mehr ausgebeutet uns gedemütigt.




Meinung:
Lars von Trier dürfte mittlerweile jedem Filmfreund in Begriff sein. Er gilt als enfant terrible der Filmemacher, besitzt aber auch die wunderbare Gabe, Kreativität und Provokation in seinen Filmen zu vereinen. Selten sind es Wohlfühlfilme, meistens dringt von Trier tief in die Abgründe der menschlichen Psyche hinein, stellt das menschliche Verhalten in extremer Weise dar und will dadurch den Zuschauer aufrütteln. Genau so macht es der dänische Regisseur bei „Dogville“, der mit „Manderlay“ und dem noch nicht gedrehten „Wasington“ seine USA-Trilogie bilden soll.



Als Sklavin wird Grace auch von den Kindern ausgenutzt
Hier nimmt er das fiktive, kleine, abgeschieden in den Hügeln der Rocky Mountains liegende Dorf Dogville her, um die Entwicklung der Gesellschaft als Ganzes exemplarisch zu veranschaulichen. Eigentlich führen die Bewohner ein ruhiges Dasein, haben alles, was sie zum Leben brauchen, keinen Streit, jeder tut nur das, was notwendig ist. Als Grace auftaucht, da wissen sie auch erst gar nicht, wie sie sich ihr gegenüber verhalten sollen. Erst misstrauisch, ablehnend und eigentlich weiter ihrem Trott nachgehend wollen sie ihr gegenüber freundlich auftreten, aber eben auch distanziert. Sie ist ja keine von ihnen. Aber als sich Grace immer mehr versucht, in die Gemeinschaft einzubringen, ihnen Arbeiten abzunehmen, da verändern sich die Bewohner des Dörfchens. Sie erkennen, dass die blonde, fremde Frau auf die Einwohner angewiesen ist, dass sie Macht über Grace haben. Und nach und nach nutzen sie diese Macht immer mehr aus. Anfangs noch einfach Arbeiten, wird sie irgendwann zu Sklavin in Ketten, zum Lustobjekt für die Männer, zum Fußabtreter für die Frauen. Und gerade hier dringt von Trier wieder tief in die Psyche des Menschen und der Gesellschaft als Ganzes vor, stellt sie bloß, zeigt ihre Ängste und ihre Triebe, ihre Entwicklung und ihre Gnadenlosigkeit.


„Dogville“ ist aber nicht nur eine Charakterstudie einer Gesellschaft, der Film ist zusätzlich noch die vollkommene Dekonstruktion und Reduktion des Mediums Film. Eigentlich nie war ein Film weniger Film und mehr Theater. Episches Theater, und zwar nicht in der Form, wie heute jeder zweite Jugendliche alles „episch“ findet, sondern episches Theater in Anlehnung an Bertolt Brecht. Es gibt den auktorialen Erzähler, der fast schon ununterbrochen das Geschehen beschreibt, nacherzählt und kommentiert. Die Schauspieler agieren unterkühlt und behalten stets eine große Distanz zu ihren Rollen, Gefühle werden sowieso so gut wie keine gezeigt. Und doch sind die Figuren unheimlich ambivalent. Die Kamera steht stellvertretend für den Zuschauer, der sich ohne Hindernisse und mal nach links, mal nach rechts schauend, mitten im Geschehen befindet. Alles kann er beobachten, da ihn keine Wände oder dergleichen aufhalten. Auch die Einführung in den Film durch einen Prolog und die Einteilung in Kapitel, die mit ausführlichen Überschriften bereits die Handlung (zugegeben, hier sehr grob) zusammenfassen erinnern stark an Brechts Spruchtafeln, die er vor jedem Kapitel auf der Bühne zeigen ließ. Verfremdungseffekte sind ebenso zu finden wie die eben gerade nicht eingängig wirkende Handlung.


Keine Wände, stattdessen Kreidestriche - das ist Dogville
Aber der auffälligste Teil des epischen Theaters ist wohl das Bühnenbild. Nur das Nötigste hat von Trier in seinem Film auch optisch dargestellt. Mal ein Stuhl, mal ein Tisch oder ein Tasse. Aber keine Wände, kaum Türen und Fenster. Lediglich was wichtig sein könnte, kann man auch sehen. Stattdessen malt von Trier Kreidestriche in sein ansonsten abgedunkeltes oder aufgehelltes, weißes Filmstudio. Kreidestriche und Beschriftungen, die zeigen, wo die Wände verlaufen, wo ein Strauch steht, wo eine Tür ist. Und doch sind die Geräusche vorhanden, wenn die Türen geöffnet werden oder wenn sich ein Fenster schließt. Man kann sie hören, sie sind vorhanden, aber wichtig sind sie nicht. Reduktion auf das Wesentliche. Das hat zur Folge, dass sich der Zuschauer eben wie in einem Theater fühlt, in einer modernen Inszenierung und sich zusätzlich noch mehr auf die Figuren und auf das, was sie sagen, konzentrieren kann.


Aber durch diese Reduktion aller filmischen Mittel entsteht auch das einzige aber dafür umso auffälligere Problem des Films. Beinahe drei Stunden sind einfach viel zu lang für einen Film oder fast besser gesagt für ein verfilmtes Theaterstück, wenn man so wenige Schauwerte hat, denn die Geschichte reicht nicht für diese drei Stunden aus. Eigentlich komisch, denn es fällt normalerweise keine überflüssige Stelle ein, keine wirklich störende Szene. Trotzdem zieht sich der Film, in jeder einzelnen Szene nur ein kleines Stück. Aber eben doch etwas. Optisch ist der Film etwas ganz Besonderes, thematisch ist er hervorragend. Die Darsteller spielen im Rahmen der Theorie des epischen Theaters ausgezeichnet und überhaupt ist der Film ein Erlebnis, einfach, weil wir so eine Art von Film eigentlich nie zu Gesicht bekommen. Und schon deshalb sollte man ihn unbedingt gesehen haben.


8,5 von 10 Glockenschläge der Dorfkirche

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