Review: DIESES OBSKURE OBJEKT DER BEGIERDE – Die Irrungen und Wirrungen der Liebe



Fakten:
Dieses obskure Objekt der Begierde (Cet obscur objet du désir)
Frankreich, Spanien. 1977. Regie: Luis Buñuel. Buch: Jean-Claude Carrière, Luis Buñuel, Pierre Louys (Vorlage). Mit: Fernando Rey, Carole Bouque, Ángella Molina, Julien Bertheau, André Weber, Milena Vukotic, Ellen Bahl, Jacques Debary u.a. Länge: 95 Minuten. FSK: freigegeben ab 16 Jahren. Auf DVD erhältlich.


Story:
Der Geschäftsmann Mathieu fährt mit dem Zug nach Sevilla. Vor der Abfahrt schüttet er einem Mädchen einen Eimer Wasser über den Kopf. Dies erregt die Neugier einiger Passagiere (u.a. einem Richter und einem Psychologen). Vor diesen muss sich Mathieu wegen seiner unverschämten Handlung rechtfertigen. Er tut dies, indem er erzählt, wie er einst das Hausmädchen Conchita kennenlernte und wie sehr sie sein Leben veränderte.




Meinung:
Wehmut und cineastische Trauer machen sich breit, schaut man sich das letzte Werk eines großen Künstlers an. Ein letztes Mal der unikalen Handschrift der verehrten Respektsperson seines Fach auf Schritt und Tritt folgen und in seiner immer bleibenden Kompetenz verlieren. Wendet man sich also im Nachhinein einem dieser bitteren Abschiedswerke an, am besten im Zuge einer ausführlichen Retrospektive, dann kann man nur hoffen, dass dem eigentlichen Meister ein gebührender Abschied vergönnt wurde, denn es gibt wohl nichts Unbefriedigenderes als einen Schlusspunkt, der eine beeindruckende Karriere mehr als unwürdig besiegelt. Ein ehrenvoller Abgang war dem legendären Luis Buñuels aber glücklicherweise gegönnt, alles andere wäre eine tragische Schande sondergleichen, und der spanische Regisseur, der der Filmwelt maßgeblich beeinflusste und ihr für alle Zeit den Stempel aufdrückte, verabschiedete sich – im wahrsten Sinne des Wortes – mit einem nachhaltig wirkenden Knall.


Conchita will noch Jungfrau bleiben
„Dieses obskure Objekt der Begierde“ heißt das Werk und lässt schon mit der Taufe erahnen, dass Buñuel sich seiner leicht spitzfindig-frivolen Note bis zum Schluss treu geblieben ist. Dabei lkann sich in der Besetzungsliste ein künstlerischer Kniff erkennen lassen, der nicht nur zur damaligen Premiere für reichlich Wirbel sorgte, sondern auch aus heutiger Sicht schlichtweg genial erscheint: Die Schauspielerinnen Carole Bouquet und Ángela Molina spielen mit dem titelgebenden „Objekt der Begierde“ Conchita ein und dieselbe Figur. Angeblich nur eine Notlösung Buñuels, in Wahrheit aber eine famose Finte von immenser Symbolik: Verdeutlicht der unterschiedliche Habitus genau die Divergenz, die sich im Wesen der Frau reflektieren und so nicht nur im unterschiedlichen Aussehen der Damen die Wechselhaftigkeit ihrer Taten und Äußerungen manifestiert, sondern auch das alternierende, launische Innenleben Conchitas in Bezug auf Mathieu (Fernando Rey) charakterisiert.


Doch Mathieu fällt das Warten schwer
Aber Buñuel wäre nicht Buñuel, würde er sich allein auf diesem äußerlichen Antagonismus berufen und den von seinen Gefühlen geblendeten Mathieu von einem weiblichen Tiefschlag und Demütigung zum nächsten schicken. „Dieses obskure Objekt der Begierde“ ist vielmehr ein Film über die Vielseitigkeit der Liebe und die daraus resultierenden Eigenschaften. Weil Zuneigung und Abhängigkeit genauso zur ihr gehören, wie auch Kummer und Lust ein Teil ihrer sind. Buñuel wirft all das durcheinander, ohne aber überhastet zu agieren und seine Geschichte im chaotischen Hin- und Her des konzentrierten Beziehungsgefilde zu verwässern. Genau das zeichnet einen wirklichen Könner aus: Eine vielseitige Ideenflut aus realen Befinden immer im Griff zu behalten, ohne sich Hals über Kopf in den obligatorischen Irrungen und Wirrungen der Gefühle zu verrennen. Obwohl der alternde Mathieu für eine überdeutlich jüngere Frau schwärmt und er im Volksmund wohl schnell als Stelzbock abgestempelt wird, ist „Dieses obskure Objekt der Begierde“ keine visualisierte Altherrenphantasie, die sich letztlich noch auf Buñuels persönlichen, intimen Wünsche projizieren lässt; die spanische Koryphäe bewahrt Reife und lässt diese auch in seine Inszenierung einfließen.


Während Mathieu also immer vehementer um die Gunst der unverbrauchten Conchita wirbt, scheint Conchita etwas ganz anderes im Schilde zu führen und sorgt dafür, dass Mathieu sich schön die Zähne an ihrer Keuschheit ausbeißt. Macht sie ihm in einem Moment noch Hoffnungen und lässt ihn an ihren Busen, wird im nächsten Augenblick die Möglichkeit auf eine wilde Nacht in weite Ferne gerückt. Buñuels inszenatorische Allegorie zeigt die Liebe als unergründliches Wechselbad der Emotionen, als seltsames Spiel und explosive Spirale aus Wut und Hoffnung, aus Idiotie, Sanftmut und zwischenmenschlicher, nicht physischer Einkehr. Mit gekonnter Selbstironie an den richtigen Stellen und nie penetrant Oberhand gewinnend, demaskiert er durch seinen sich zwischen den Zeilen befindender Humor den bourgeoisen Biedersinn seines snobistischen wie gutbetuchten Jahrgangs. Wenn dazu immer wieder Szenen verschiedener Attentate einfließen, dann ist dies politische Referenz vollkommen klar, doch dient das gleichzeitig auch als metaphorisches Abbild des innerseelischen Zustandes seiner Protagonisten – Und genau auf dieser Ebene funktioniert „Dieses obskure Objekt der Begierde“ ganz hervorragend, erklärt er sich doch durch seine sublimen Note, tief verankert im Gemüt seiner Charaktere.


8 von 10 öffentlichen Exekutionen


von souli

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