Review: LIFE OF PI: SCHIFFBRUCH MIT TIGER - Überlebenskampf als träumerisches Kaleidoskop



Fakten:
Life of Pi: Schiffbruch mit Tiger (Life of Pi)
USA. 2012. Regie: Ang Lee. Buch: David Magee, Yann Martel (Vorlage). Mit: Suraj Sharma, Irrfan Khan, Rafe Spall, Gautam Belur, Adil Hussain, Tabu, Ayan Khan, Gérard Depardieu, Mohd Abbas Khaleeli, Vibish Sivakumar u.a. Länge: 127 Minuten. FSK: freigegeben ab 12 Jahren. Auf DVD, Blu-ray und Blu-ray 3D erhältlich.


Story:
Piscine Molitor Patel wird von einem Schriftsteller besucht, der Patels bewegte Vergangenheit niederschreiben möchte. Patel erzählt dem jungen Autor von seiner Kindheit in Indien, seiner Suche nach dem richtigen Glauben, dem Zoo seiner Familie sowie der Geschichte vom Tiger Charlie Parker, der zusammen mit ihm schiffbrüchig in einem Rettungsboot über den Pazifik schipperte.




Meinung:
Als taiwanesische Regisseur Ang Lee ("Brokeback Mountain", "Tiger & Dragon") dieses Jahr den Oscar für die beste Regie bekam, dachte ich noch, es sei wieder so eine Sicherheits-Entscheidung der Academy. Lee ist, ohne einen Hauch von Zweifel, ein begnadeter Regisseur. Bis jetzt gefielen mir alle seine Filme. Auch sein „Hulk“ ist für mich ein klares Highlight im grassierenden Kanon aktueller Comicverfilmungen. Doch sein letzter Film „Life of Pi: Schiffbruch mit Tiger“ hatte mich nicht sonderlich interessiert, auch nicht als er dafür den Regie-Oscar bekam. Nun, nachdem ich die Verfilmung des Romans von Yann Martel gesehen habe, frage ich mich aber warum „Life of Pi“ nicht auch den Oscar für als bester Film gewonnen hat? Nichts gegen „Argo“ von Ben Affleck, aber Ang Lee beschwört hier so viel filmische Magie, die nicht bloß zur Schönfärberei dient, sondern wirklich die Aussage des Films verfestigt, das Afflecks gut geschmiertes, aber doch sehr monotones Polit-Drama doch mehr wie ein Gewinner zweiter Wahl wirkt. Gewiss, richtig vergleichbar sind beide Werke nicht aber es ist schon schade, dass die Academy dieses Jahr nicht auf Filmmagie gesetzt hat.


Pi und Charlie Parker auf dem goldenen Ozean
Was „Life of Pi“ so besonders macht? Nun, zuerst einmal sollte gesagt werden, dass der Film gleich mehrere Faktoren vereint, die ein Scheitern mehr als wahrscheinlich machen. Zum einen spielt ein Großteil auf einem kleinen Rettungsboot auf dem lediglich ein Protagonist agiert und dann spielen Tiere, im speziellen ein Bengalischer Tiger, auch noch eine entscheidende Rolle. Unter diesen Gesichtspunkten könnte der Verdacht aufkeimen, „Life of Pi“ wäre ein Kammerspiel, welches auf einen animalischen Knuddeleinflüssen abzielt. Nun, zu gewissen Teilen stimmt dies auch, aber Ang Lee und sein Drehbuchautor David Magee gelingt es aus diesem rudimentären Kern etwas großes zu erschaffen. Sie erschaffen es nicht nur, sie bringen es zum leben. „Life of Pi: Schiffbruch mit Tiger“ ist einer der lebendigsten Filme seit langem. Ein Ereignis mit überschwänglicher, pulsierender Kraft.


Wie Lee die Geschichte von Pi Patel erzählt, oder besser gesagt, wie dieser selbst seine Geschichte wiedergibt wird mit wohltuend ruhig inszeniert. „Life of Pi“ lässt sich Zeit, bis es zum „Schiffbruch mit Tiger“ überhaupt kommt. Doch schon vor dem titelgebenden Ereignis, welches später den Film klar dominiert, bringt uns Ang Lee die Welt von Hauptfigur Pi in unglaublich intensiver wie herzlicher Weise näher. Dabei spricht Lee auch bereits die Themen an, die sich während Pis Zeit alleine auf dem Pazifik, eine wichtige Rolle spielen. Es geht um die Frage nach dem Glauben, um den Willen des (Über-)Lebens, um die Verarbeitung von Verlust und um das Lösen von Problemen und Konflikten. Im Prinzip nimmt der Beginn des Films, wenn Pi noch in seiner Heimat ist, sämtliche Themenbereich der späteren Schiffbruch-Phase vorweg. Sie werden sozusagen auf dem Festland angekratzt und auf hoher See auf fulminante Weise vertieft und verarbeitet, ohne dass es sich zu artifiziell anfühlt.


Pi erzählt einem Autor seine unglaubliche Geschichte
„Life of Pi: Schiffbruch mit Tiger“ ist eine Fabel. Ein emotionales Märchen rund um einen Überlebenskampf einhergehend mit einer Glaubenskrise. Dies wurde von Ang Lee in ein farbenprächtiges Kaleidoskop verpackt, das in dem einen Moment zum Staunen verleitet, nur um wenig später das eigene Herz zu rühren. Dabei sollte aber niemand dem Verdacht verfallen Ang Lee würde vor
Determination zurückschrecken. „Life of Pi“ zeigt auch die Fratze der Grausamkeit. Es sind gewiss keine Blutbäder, ganz im Gegenteil, aber im Kontrast zu den träumerischen, fast sphärischen Passagen, wirken die dargestellten Bedrohungen umso stärker und massiger. Eine dieser Gefahren ist Charlie Parker, der Tiger im Rettungsboot. Um hier letzte Zweifel auszumerzen, wer glaubt, hofft oder erwartet Pi und der Tiger würden eine cartooneske Beziehung im Kampf gegen den Pazifik, den Hunger und den Durst eingehen, der irrt sich. Der Tiger und Pi werden nach und nach eine Art Team, aber dennoch bleibt das Raubtier eben ein Raubtier und somit eine Gefahr, die niemand unterschätzen sollte. Aber eben durch die ewige Gefahr Charlie Parker, wirkt der unbändige Kampfeswille von Pi umso konzentrierter und packender.


Pi im Kampf gegen die Gezeiten
„Life of Pi“ ist kein Film, der mit seinen Schauwerten hausieren geht. Aber Schauwerte bietet er in Hülle und Fülle. Egal ob satte Farben, peitschende Stürme, goldene Wolken, die sich auf der spiegelnden Oberfläche des Pazifik reflektieren und eine Art Parallelwelt formen, oder fluoreszierende Quallen, die Pis unerreichbare Träume scheinbar in die Tiefe des ozeanischen Reiches malen. Das ist künstlerisch hochwertig und vor allem ergibt es alles einen Sinn. „Life of Pi“ nutzt seine geballte optische Kraft nicht dafür, um sich selbstgefällige Statussymbole zu generieren, sondern um seine eigene Geschichte und seinen Helden Pi Patel zu ergründen und weiterzuformen. Aus technischer Sicht ist dies makellos. Vor allem bei Charlie Parker wird dies ersichtlich. Es gibt nur wenige echte Tiger-Bilder im Film, doch die meiste Zeit ist die CGI-Raubkatze nicht von einer echten zu unterscheiden. Und selbst in den Momenten, in denen die Hochleistungsrechner scheinbar nicht unsere Erwartungen erfüllen können, wirkt „Life of Pi: Schiffbruch mit Tiger“ wie aus einem Guss, weil die bittersüße, abenteuerlustige Erzählung des Films einen in ihren Bann zieht und auch weil Lee es wunderbar versteht kindliche Unbeschwertheit, jugendlichen Entdeckungsdrang und  unbändigen Überlebenswillen so einzufangen und umzusetzen, dass hinter jedem schweren oder scheinbar als Illusion enttarnten Moment, sich immer noch etwas Magie befindet. Genau so sollte von Wundern erzählt werden, in dem man die Macht der Wunder benutzt.


Vielleicht wird man „Life of Pi“ am besten gerecht, wenn man ihn als wundersam beschreibt? Oder noch besser: Ang Lee hat kein Meister- sondern ein Wunderwerk geschaffen. Eine Ode an das Leben, dargeboten mit all den Farben, die wir oft nur mit den Herzen sehen. Kitschig? Gewiss. Schön? Ja, mit jedem einzelnen Frame.


9,5 von 10 schwimmenden Bananen


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