Review: SPIEGLEIN, SPIEGLEIN - DIE WIRKLICH WAHRE GESCHICHTE VON SCHNEEWITTCHEN - Anorganisches Märchen


Fakten:
Spieglein, Spieglein - Die wirklich wahre Geschichte von Schneewittchen (Mirror, Mirror)
USA. 2011. Regie: Tarsem Singh. Buch: Melissa Wallack, Jason Keller. Mit: Lily Collins, Julia Roberts, Armie Hammer, Nathan Lane, Michael Lerner, Richard Jutras, Jason Cavalier, Martin Klebba, Mare Winningham, Danny Woodburn, Dawn Ford, Sean Bean u.a. Länge: 104 Minuten. FSK: Freigegeben ohne Altersbeschränkung.

Story:
Nachdem Tod des Königs herrscht dessen Frau über das Königreich und schröpft die Bewohner um berauschende Feste zu feiern. Als die Stieftochter der Königin, die liebreizende Schneewittchen, all ihren Mut zusammen nimmt und das Schloss zum ersten Mal verlässt, ist sie erschrocken wie sehr das Reich ihres Vaters unter ihrer Stiefmutter leiden muss. Als Schneewittchen sie zur Rede stellen will, wird Schneewittchen
in den finsteren ald gebracht und soll dort getötet werden. Doch es kommt anders.



Meinung:

Märchen neu erzählt? Das ist nichts Neues, wird aber von der Traumfabrik in letzter Zeit häufiger als früher propagiert. „Red Riding Hood“ machte den unrühmlichen Anfang und legte gleich die Marschrichtung vor: das Heimelige, das Märchenhafte wird zu Gunsten von Mystery-Chic und Fantasy-Epik fallengelassen. Das gefiel weder den Kritikern noch dem breiten Publikum. Weder die Rotkäppchen-Verstümmelung „Red Riding Hood“ noch Singhs so opulente wie reizlose Schneewittchen-Adaption waren Erfolge. Erst „Snow White an the Huntsman“ konnte, wenn auch nur finanziell, große Erfolge verbuchen. Vielleicht auch deshalb, weil der Film mehr als Fantasyfilm und weniger als echtes Märchen vermarktet wurde. Vielleicht ist die Zeit für große, echte, moderne Märchenfilme noch nicht da? Wer weiß?

Optisch weiß er jedes Mal zu überzeugen, der indische Regisseur Tarsem Singh, der früher u.a. Musikvideos inszeniert hat (das bekannteste dürfte wohl „Losing my Religion“ von REM sein). Doch erzählerisch konnte Singh nie dieselbe qualitative Ebene erreichen wie im visuellen Bereich. Bei seiner freien Märchen-Adaption „Spieglein, Spieglein“, für die Singh ursprünglich den kürzeren Titel „Snow“ auserwählt hatte, ist dies nicht anders.

Nathan Lane im schmucker Robe, tut fast alles für die Königin
„Spieglein, Spieglein“, beginnt vielversprechend. Die böse Königin, gespielt von Julia Roberts, fungiert als Off-Erzählerin und verschießt sogleich einige Spitzen gegen ihre hübsche Stieftochter. Das ist amüsant, macht durchaus Lust auf mehr, wirkt aber zunehmend gleichgültiger und wird im späteren Verlauf immer bedeutungsloser. Dabei passt diese Art der Erzählung durchaus in die Inszenierung. Kokett werden alte Bestandteile des klassischen Märchens um modelliert. Die sieben Zwerge sind hier keine Bergleute, sondern Diebe, die mit Tricks und der nötigen Prise Courage reiche Edelmänner um ihre Goldtaler erleichtern. Doch auch die kleinwüchsigen Diebe verkommen zunehmend zur Routine. Singh gelingt es nicht das Phantastische der Story zu erhalten, obwohl alles nach Märchen schreit. Es gibt den finsteren Wald, magische Spiegel, große Schlösser, mütterliche Hofdamen, edle Prinzen, aber dadurch, dass „Spieglein, Spieglein“ alles mit einem glänzenden Bezug aus Witzelei und artifizieller Schönheit glasiert, verkommt das wahre Märchen in der Geschichte sowie im Look des Films zu einer fast schon unwichtigen, nicht erfassbaren Nebensächlichkeit.
Schneewittchen (Lily Collins) beim Glücksspiel mit den Zwergen
Tarsem Singh weiß wie er große, opulente Bilder entwerfen muss und diese Bilder sind wirklich voller Schönheit, aber durch ihre pure Künstlichkeit bewirken sie nichts. Sie sind geschmackvoll, aber emotional so kalt, wie der computeranimierte Schnee der durch das Königreich weht.  Diese Kälte macht auch vor Schneewittchen nicht halt. Lily Collins, die Singh angeblich für die Hauptrolle haben wollte, wegen ihrer Augenbrauen, kann lieb lächeln, aber als Sympathieträgerin funktioniert sie nicht. Sie passt nämlich perfekt in de künstlichen Look des Films, denn auch sie wirkt nie wirklich lebendig. Fast könnte man meinen, Singh hätte mit Puppen und nicht mit Menschen gedreht. Julia Robert kann hingegen überzeugen. Ihre Boshaftigkeit wird mit trockenem Humor vermischt. Dies macht ihre Rolle nicht netter, aber dafür interessanter.  Nach einigen Minuten in denen Schneewittchen belanglos-herzlich mit den Zwergen oder dem Hofpersonal agiert, ist es eine wirklich willkommende Abwechslung, wenn Robert zu sehen ist, auch weil ihre Auftritte meist mit einem comic relief einhergehen. Die sind nicht immer wirklich gelungen, laden aber zumindest zu leichtem Schmunzeln ein. Auch Nathan Lane als ihr Assistent beschert „Spieglein, Spieglein“ akzeptable, wenn auch nicht vollkommen gelungene Momente der Komik. Armie Hammer, bekannt aus „The Social Network“ und „J. Edgar“, soll wohl auch für witzige Momente sorgen.  Als Prinz wirkt er aber weitestgehend wie eine Parodie, wie eine lustlose Parodie. Dieser Prinz, diese freudlose wie halbgare Karikatur, soll dann aber auch für Romantik sorgen. Das geht gründlich nach hinten los. 

„Spieglein, Spieglein“ ist erneut der Beweis dafür, dass Regisseur Tarsem Singh ein visuelles Genie ist, aber das Narrative liegt ihm einfach nicht. Egal ob „The Cell“, „The Fall“, „Krieg der Götter“ oder  jetzt „Spieglein, Spieglein“, seine Filme sind anorganische Werke. Hübsch anzusehen, aber ohne einen Funken Leben und bei seiner Schneewittchen-Adaption kommt noch etwas Schlimmeres hinzu, denn durch die Kühle der Künstlichkeit geht die Essenz der Geschichte, die jeder seit Kindertagen kennt, verloren: das Märchenhafte.


3 von 10



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